Kaffeeboom in China. Zwischen Roboterbaristas, Techtiteln und Guochao Kaffeeboom in China. Zwischen Roboterbaristas, Techtiteln und Guochao

Kaffeeboom in China. Zwischen Roboterbaristas, Techtiteln und Guochao

Ein Montagmorgen in Chengdu, kurz nach acht. In einem belebten Büroviertel zieht eine endlose Reihe von Angestellten an einem fensterlosen Kiosk vorbei. Hinter der Glasfront kein Mensch, nur ein glänzender Roboterarm, der routiniert Americano, Flat White oder Oatmilk-Latte zubereitet.

Willkommen bei COFE+, Chinas Antwort auf den schnellen Kaffee zum Mitnehmen. Vollautomatisch, hygienisch, kontaktlos und vor allem, erschwinglich.

COFE+
COFE+ Robot Cafe

Von der Boutique-Rösterei bis zum Discount-Franchise

Was hier fast wie eine Szene aus einem Science-Fiction-Film wirkt, ist Teil eines echten, sehr irdischen Booms. In den letzten zwei Jahren hat sich die Kaffeelandschaft Chinas dramatisch verändert. Von der Boutique-Rösterei bis zum Discount-Franchise, vom WeChat-Mini-Programm bis zur Tankstellenkooperation. Kaffee ist in China allgegenwärtig geworden, nicht mehr als westlicher Luxus, sondern als lokalisierter, digitaler und massentauglicher Lifestyle.

Luckin Coffee
Luckin Coffee

Mit mehr als 20.000 Filialen hat sich an die Spitze gesetzt. Das 2017 gegründete Unternehmen bietet nicht nur regelmäßig virale Getränke wie den Moutai-Latte (ja, mit chinesischem Schnaps), sondern auch ein hyper-effizientes App-basiertes Bestellsystem. Keine langen Warteschlangen, keine Baristas. Alles läuft über das Smartphone, bezahlt wird digital, abgeholt wird am Self-Pickup-Schalter.

Eine Tasse Espresso zwischen Benzinsäule und Kassenbon

Noch schneller wuchs zuletzt Cotti Coffee, ein Startup aus dem Luckin-Umfeld, das mit Preisen ab 9,90 RMB (etwa 1,30 Euro) eine neue Niedrigpreisstrategie etabliert hat. In Kooperation mit Supermärkten, Tankstellen und Convenience-Stores prägt Cotti eine neue Art von „Kaffeeverfügbarkeit“ im Prinzip immer und überall.

Cotti Coffee
Cotti Coffee

Manner Coffee, ein stylishes Boutique-Konzept aus Shanghai

Doch der Boom ist nicht nur quantitativ. Chinas Kaffeerevolution hat auch ihre eigenen kulturellen Codes hervorgebracht. Besonders augenfällig ist der Einfluss von „Guochao“ – einer Bewegung, die chinesische Herkunft, Design und Identität selbstbewusst in Szene setzt. Manner Coffee, ein stylishes Boutique-Konzept aus Shanghai, vereint lokale Bohnen aus Yunnan, minimalistisches Interieur und preislich zugängliche Third-Wave-Qualität. Der Becher mit dem Manner-Logo ist heute in Metropolen wie Beijing oder Shenzhen so etwas wie ein modisches Accessoire.

Manner Coffee Shanghai
Manner Coffee Shanghai

Starbucks, lange Platzhirsch im Premiumsegment

Auch Starbucks, lange Platzhirsch im Premiumsegment, hat sich angepasst. Mit über 7.000 Filialen im Land und einem Netzwerk digitaler Partnerschaften mit Alibaba und Tencent versucht der US-Riese, sich gegen die heimische Konkurrenz zu behaupten. Dabei setzt man zunehmend auf Lokalisierung. Regionale Spezialitäten, nachhaltige Verpackungslösungen aus Kaffeesatz, und Cafés mit traditioneller Dekoration und kulturellem Bezug.

Starbucks in China
Starbucks in China

Das neue Selbstbewusstsein zeigt sich nicht nur in Konzepten, sondern auch in der Infrastruktur. Yunnan, einst fast ausschließlich Teeanbaugebiet, exportiert heute Arabica-Bohnen in 30 Länder. In Shanghai entstehen Coffee Innovation Parks mit smarten Röstereien und Logistikzentren.

Ein Ausdruck von urbanem Lebensstil, Tech-Affinität und Konsumkreativität

Kaffee in China ist mittlerweile mehr als ein Getränk. Es ist ein Ausdruck von urbanem Lebensstil, Tech-Affinität und Konsumkreativität. Der durchschnittliche Kaffeekonsum ist im Vergleich zu Europa oder den USA noch gering, rund 17 Tassen pro Jahr pro Kopf. Doch die Dynamik spricht für sich. Über 12.000 neue Cafés wurden allein 2024 eröffnet.

Die Nachfrage wächst nicht nur in Metropolen wie Shanghai oder Guangzhou, sondern auch in aufstrebenden Städten wie Xi’an, Changsha oder Kunming.

Für internationale Beobachter bleibt dabei eine entscheidende Frage. Ist dieser Boom nachhaltig oder nur der Hype eines konsumfreudigen Moments. Die Antwort liegt vermutlich in der Vielfalt: Zwischen Tech-getriebenem Massenmarkt, nachhaltiger Herkunft und kultureller Selbstbehauptung findet China gerade seinen eigenen Geschmack.

Louis Vuitton und Manner in Shanghai
Louis Vuitton und Manner in Shanghai

Ein Geschmack, der nicht mehr importiert, sondern mit roboterhaftem Pragmatismus und großer Ideenlust selbst gebraut wird. Und der inzwischen so chinesisch schmeckt wie ein frisch aufgebrühter Yunnan-Flat-White zur Rushhour in Chengdu.

Verpackungen zieren kalligrafische Muster, Interieur setzt auf Bambus und Stein

In Cafés wie Saturnbird, M Stand oder Seesaw Coffee zeigt sich, wie tief die neue Kaffeeästhetik inzwischen greift. Verpackungen zieren kalligrafische Muster, Interieur setzt auf Bambus und Stein statt skandinavischem Holz, und Produktnamen zitieren chinesische Mythen oder Gedichte. Es ist ein bewusster Rückgriff auf kulturelle Referenzen, die mit Stolz und Popappeal inszeniert werden. Für die Gen Z ist diese Art des Kaffeekonsums mehr als nur ein Getränk, es ist Ausdruck ihrer Identität im Spannungsfeld zwischen Tradition und Hypermoderne.

Guochao-Kaffee
Guochao-Kaffee

Und der Markt hört ihnen zu. Laut einer Analyse von Xiaohongshu (Chinas Pendant zu Instagram) stiegen Suchanfragen nach „Guochao-Kaffee“ um über 200 % ein klares Zeichen dafür, dass Marken mit lokaler Verankerung, Designbewusstsein und Social-Media-Sensibilität die Gunst der Stunde nutzen.

Die Cafékarte Chinas ist damit nicht nur voller Standorte, sondern voller Bedeutungen. Wer heute seinen Flat White aus einem beigen Becher mit Hanzi trinkt, sagt nicht nur etwas über seinen Geschmack, sondern auch über seine Haltung zur eigenen Kultur.

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