Wir sitzen im Café unserer Freundin in Dali. Morgen geht unser nächster Roadtrip los und wir gehen noch einmal die Route der nächsten Tage durch. Hier kommen aus dem ganzen Land die Freiheitssucher Chinas an. Sie verkaufen ihre eigene Kunst, machen abends Musik am Seeufer und genießen die Freiheit, die sie in den großen Städten des Landes und in der Nähe ihrer Familien manchmal vermissen. Diese Stimmung kennen wir schon gut. Und wir lieben sie. Ab morgen werden wir einen Teil unserer Wahlheimat Yunnan sehen, den wir noch nicht kennen.
Er wird uns wieder an das Prinzip erinnern, mit dem wir hier nun schon seit einigen Jahren unterwegs sind. Serendipity.

/ˈsɛrənˌdɪpədi/
Meine Frau und ich leben seit mehr als sieben Jahren in China. Wir waren schnell begeistert von dem Land und den Menschen hier. Doch erst unser erster großer Roadtrip vor einigen Jahren hat unseren Blick auf dieses Land noch einmal grundlegend erweitert. Auf 15.000 Kilometern durch das ganze Land haben wir ein China abseits der großen Städte der Ostküste kennengelernt. Wir haben unfassbar mächtige und schöne Landschaften gesehen. Menschen der verschiedensten Minderheiten, alle mit ihren eigenen Traditionen. Essen, so scharf, dass es betäubt. Luxusunterkünfte in den hintersten Winkeln der Wüste, wo man denkt, der erste Westler in dieser Ecke zu sein.
Der ganze Roadtrip war geprägt von Erlebnissen, die wir nicht geplant hatten, die uns aber immer wieder positiv überrascht haben – Serendipity eben.
Die Kunst, fantastische Momente zu finden, ohne sie gesucht zu haben. Seit dieser Erfahrung sind Aufenthalte in unserem derzeitigen Zuhause im Süden Yunnans reine Planungszeiten für den nächsten Trip. Wir haben eine Idee entwickelt: Wir sind so begeistert von diesem Land, dass wir unsere Begeisterung gerne mit Menschen teilen möchten, die offen für etwas völlig Neues sind und sich von der Faszination für dieses Land anstecken lassen wollen. So ist unsere kleine Reiseagentur „China Serendipity 奇缘“ entstanden, die von uns persönlich geführte und individuell kuratierte Roadtrips durch den Westen Chinas anbietet.

Anfang des Jahres, gerade zurück aus Chengdu – für uns das Shanghai des Westens Chinas – haben wir den nächsten Roadtrip geplant. Wir wollten in die entlegensten Winkel der Provinz Yunnan, in der wir leben. Dorthin, wo wir noch nie waren: in den Norden, kurz vor Tibet. Wenn man „Reise nach Yunnan“ googelt, was wird vorgeschlagen? Dali, Lijiang und Kunming. Aber wer hat schon mal von Nujiang gehört? Shangri-La vielleicht. Das ist aber nur der Nachbau einer alten Stadt an einer Stelle, wo bis vor einigen Jahren nur ein unbedeutendes Dorf stand. Meili? Nie gehört? Dabei ist es wunderschön und überraschend einzigartig. Mekong und Yangtze? Klar, die kennt man. Aber der Salween oder Saluen? Moment, nie gehört, ich checke mal GPT.
Gut, besser der Reihe nach …
Also geht es zurück zum Start nach Dali. Die Stadt liegt auf 2.000 Metern Höhe zwischen dem Erhai-See und dem Cangshan-Gebirge. Sie war einst die Hauptstadt des mächtigen Nanzhao-Königreichs, das im 9. Jahrhundert über große Teile Südwestchinas herrschte. Wir meiden die Autobahn und nehmen die Strecke durch die Berge zu unserem Tagesziel. Zwar verlängert sich die Tour dadurch von drei auf sieben Stunden, dafür sehen wir abseits der Straße aber viel mehr vom „Real China“, also das Dorfleben, die Berge und die wunderschöne Natur. Außerdem kreuzen wir den Lancang-Fluss. Noch nie gehört? Das ist der Mekong, der hier erst rund ein Viertel seiner Gesamtstrecke von 4.350 Kilometern von der Quelle bis zur Mündung im Süden Vietnams hinter sich hat. Sein Charakter wird bei den zahlreichen Überquerungen an diesem Tag auf den kurvenreichen Bergstraßen aber schon deutlich: Ruhig fließt er Richtung Südchinesisches Meer.
Der wütende Fluss
Am Abend erreichen wir Nujiang. Die kleine Stadt liegt im Tal des gleichnamigen Flusses, der unter dem Namen Salween bekannt ist. Er ist der zweite der drei großen Flüsse Westchinas, die wir überqueren. „Nujiang” bedeutet „wütender Fluss” und wir werden morgen sehen, warum der Fluss diesen Namen trägt.
Am nächsten Morgen fahren wir talaufwärts. Das Tal zieht sich rund 350 Kilometer ziemlich gerade nach Norden, bis der Grenzcheckpoint zu Tibet erreicht ist. Damit verläuft das Nujiang-Tal den längsten Teil seiner Strecke parallel zur Grenze nach Myanmar. Deshalb war es viele Jahre lang militärisches Sperrgebiet und ist erst seit Kurzem für Reisende geöffnet. Weil es so weit von Peking entfernt ist, hat es noch eine weitere Besonderheit: Im Nujiang-Tal leben die Lisu, eine der 56 ethnischen Minderheiten Chinas. Die Lisu haben ihre eigene Sprache und Schrift und ihre eigene Religion. Sie sind Christen. Im 19. Jahrhundert kamen französische Missionare hierher, brachten ihre Religion ins Tal und bauten Kirchen.
Während der Fahrt durch das Tal und wenn man immer wieder mal nach rechts oder links abbiegt und die steilen Berghänge zu den kleineren Dörfern hochfährt, sieht man deshalb Menschen, die in der Bibel in der Lisu-Sprache lesen, sowie sehr hübsche Kirchen aus dem vorvorletzten Jahrhundert.
In einem kleinen Bergdorf kommen wir mit einer Frau über ihre Religion und die Kirche im Ort ins Gespräch. Sie sagt, der Priester habe den Ort schon lange verlassen, da er zu abgelegen war. Einen Nachfolger haben sie nicht gefunden. Also gehen sie sonntags eben allein in die Kirche und lesen sich gegenseitig etwas aus der Bibel vor. Als wir weiterfahren wollen, werden wir von einer anderen Frau herübergerufen und zum Tee eingeladen. Sie vermietet zusammen mit ihrer Tochter kleine, einfache Appartements am Berghang. Die 25-jährige Tochter hat es einmal ausprobiert, in der Stadt zu leben. Das war jedoch nichts für sie: Zu hektisch, zu wenig Natur. Jetzt lebt sie wieder im Örtchen hoch am Berghang und postet auf Xiaohongshu, dem chinesischen YouTube, Geschichten aus dem Bergleben.

Wir trinken Tee und lehnen die Einladung zum Mittagessen ab. Das bringt uns allerdings am Ende doch keinen Zeitgewinn für unsere Tagesetappe, weil wir auf jeden Fall noch zur zweiten Tochter weiter hochfahren sollen. Die hat oben am Berg ein Café. Krass, dort angekommen, finden wir auf 3.500 Metern im hintersten Winkel dieses riesigen Landes ein modern designtes Café, vor dem die Leute in Berlin-Mitte Schlange stehen würden. Der Kaffee wird in den umliegenden Bergen angebaut. Der Mann der Inhaberin wartet im Café auf Reisende, die mit ihm Wanderungen in die Berge unternehmen wollen. Wir machen eine kleine Tour, kehren bei einem Freund von ihm ein und trinken selbst angebauten Tee. Außerdem essen wir wilden Honig. Ein Tag, der einmal mehr von unserem Motto „Serendipity” geprägt war.
Die Route und das Abbiegen von der Talstraße waren nur grob geplant. Begegnungen kann man nicht planen. Sie passieren. Wenn man ihnen Raum gibt.
„Create room for serendipity”, das habe ich vor vielen Jahren einmal in einem Seminar gelernt. Auf unseren Touren spüren wir heute, wie stark dieser Gedanke sein kann.
Also geht es weiter das Tal hinauf. Der Fluss ist wirklich wütend. Wer nach Yunnan reist, reist in der Regel auch nach Lijiang. Wer dann noch einen Tag Zeit für einen Ausflug hat, fährt mit dem Bus – und Tausenden anderer Touristen – zur Tigersprungschlucht und schaut sich den reißenden Fluss an. Das ist wirklich beeindruckend, aber der westliche Reisende kann sich angesichts der Menschenmassen und der Shops mit Touristenkram nicht wirklich freuen. Fährt man zwei Täler weiter westlich das Nujiangtal hinauf, erlebt man die gleiche imposante Szenerie eines mächtigen Flusses. Nur diesmal ohne andere Menschen. Ganz allein. Okay, abgesehen von der alten Frau an der bröckeligen Aussichtsplattform, die hofft, uns doch noch eine Tüte getrocknetes Yakfleisch zu verkaufen. China abseits der ausgetretenen Pfade. Pures China, bereist nach westlichem Geschmack. In Ruhe, authentisch, ohne Ticketstation.
Trüffel. Design. Wildnis.
Unser Ziel für den nächsten Tag ist Wuli. Auf dem Weg dorthin wollten wir ursprünglich Richtung Grenze zu Myanmar abbiegen. In Dulongjiang leben die Dulong, eine weitere ethnische Minderheit, die nur dort beheimatet ist. Berühmt sind vor allem die Gesichtstätowierungen der älteren Dulong-Frauen. Dieser Brauch diente vermutlich dem Schutz vor Entführungen durch rivalisierende Gruppen und wurde bis in die 1960er Jahre praktiziert, ehe er durch staatliche Kampagnen allmählich ausgerottet wurde. Da es in den letzten Wochen allerdings stark geregnet hat, wurde die Straße weggespült. Wir haben keine Chance durchzukommen. Angesichts der Überschwemmungen wäre es auch sonst sicher nicht die richtige Zeit gewesen, einfach mal vorbeizuschauen.
Wir fahren also weiter, vorbei an der mächtigen Schleife des Nujiangs, und machen in einer kleinen Stadt mit einer hübschen alten Kirche Halt. Diese ist allerdings nur abends für eine Stunde zur Besichtigung geöffnet. Wir fragen den Besitzer des Hotels nebenan, ob wir aufs Dach klettern dürfen, um die Kirche besser fotografieren zu können. „Kein Problem, aber fallt nicht runter.“ Machen wir nicht. Alles easy in China.
Am späten Nachmittag erreichen wir Wuli, zehn Kilometer vor der Grenze zu Tibet, wo die Straße endet. Danach geht es nur zu Fuß weiter. Und was erwartet uns? Ein malerisches Dorf, in dem vielleicht 50 Einheimische zwischen hunderte Meter hohen Felswänden leben. Und ein Hotel. Nagelneu. Industrial Design. Ein Architekt aus Shanghai hat hier seine Vision verwirklicht. Es bietet 5-Sterne-Niveau. Die einheimischen Bauern pflanzen an, was abends im Restaurant auf den Tisch kommt. Jedes Gericht auf der Karte wird mit frischen Trüffeln verfeinert, die die Bauern im Wald suchen. Wer mag, kann sich auch eine Flasche Trüffel-Gin für zu Hause mitnehmen. Es gibt den besten Wein aus dem Nachbartal, einen feinen Chardonnay mit frischer Säure. Wir bleiben zwei Tage und lassen uns die zu Apartments umgebauten Hütten zeigen. Altes Holz von außen, Designmöbel in höchster Qualität innen, die Nacht zu 1.000 Euro. Wo sind wir nochmal grad?

Für die Weiterfahrt müssen wir erneut umplanen. Ursprünglich wollten wir von hier aus ostwärts über die Berge zu unserem nächsten Ziel, dem Meili Snow Mountain im Eck der drei Provinzen Yunnan, Sichuan und Tibet, fahren. Das wären nur drei Stunden Fahrt gewesen. Doch auch hier ist die Straße weg, der Regen hat sie unterspült. Dadurch werden aus drei Stunden zwei Tage Fahrt: Das ganze Tal wieder hinunter und über Dali und Lijiang, dann Shangri-La und wieder hoch in die Berge. Aber es lohnt sich. Wir lassen die Touristenhotspots Lijiang und Shangri-La links liegen. Lijiang hat eine ganz nette Altstadt, die aber sehr überlaufen ist. Wenn schon Lijiang, dann der Vorort Baisha. Den kennen noch nicht alle und man findet einige schmale Gassen und abseitige Pubs, die zeigen, wie Lijiang früher einmal war.
Shangri-La war einst ein unbedeutendes tibetisches Dorf namens Zhongdian. 2001 wurde es inspiriert von einem westlichen Romanmythos umbenannt und zum touristischen Sehnsuchtsort stilisiert.
Wir staunen im Vorbeifahren nur über die riesige Gebetsmühle am Stadteingang, die derzeit vermutlich die größte in China ist. Richtig spannend wird es dann aber 20 Kilometer nördlich außerhalb der Stadt. Die Straße zieht den Berg hinauf und gibt den Blick über das hinter uns liegende Grasland frei. Sehr malerisch. Wer jetzt doch einmal über die touristischen Stränge schlagen möchte, kann sich hier traditionelle tibetische Kleidung ausleihen und Fotos machen.
Landschaftlicher Ausnahmezustand
So, jetzt geht’s rauf in die Berge! Wir fahren immer weiter den Hängen des Goldsandflusstals hinauf. Goldsandfluss? Soll uns das etwas sagen? Ja. Wenn man weiß, dass dieser Fluss im weiteren Verlauf seinen Namen ändern wird. Er wird zum Yangtze. Würden wir jetzt in ein Kanu steigen und uns auf dem Fluss treiben lassen, würden wir 4.300 Kilometer später in Shanghai ankommen und könnten in den Pazifik springen. Damit ist auch klar, warum wir unsere Tour „Three Rivers“ nennen. Hier oben gibt es eine geologisch einzigartige Formation, in der drei Megaflüsse – der Mekong (Lancang Jiang), der Salween (Nujiang) und der Yangtze (Jinsha Jiang) – in einem außergewöhnlich engen Korridor parallel verlaufen. Dieser Verlauf erstreckt sich über mehr als 300 Kilometer, bevor sich die Flüsse in unterschiedliche Richtungen aufspalten. Dieser parallele Verlauf in tief eingeschnittenen Schluchten, oft nur durch ein Gebirgsmassiv voneinander getrennt, gilt als weltweit einzigartig.
Die Region gehört deshalb auch zum UNESCO-Weltnaturerbe „Drei parallele Flüsse in Yunnan“ mit enormer biologischer und kultureller Diversität auf engstem Raum. Nach fünfstündiger Fahrt erreichen wir wieder einen letzten Ort im Gebirge. Dahinter kommen erst einmal ein paar tausend Kilometer nichts außer Bergen, Grasland und Wildnis: Deqen oder Meili. Deqen liegt auf knapp 3.400 Metern Höhe, eingebettet zwischen zerklüfteten Hängen und weiten Tälern, die sich Richtung Tibet öffnen. Südlich des Ortes erhebt sich das Meili-Gebirge mit dem Kawagebo, dem höchsten Gipfel Yunnans. Dessen schneebedeckter Dreizack ragt 6.740 Meter in den Himmel. Für die Tibeter ist dieser Berg heilig. Er ist unbestiegen und unberührt, nicht aus sportlicher Herausforderung, sondern aus spiritueller Achtung. Mehrere Versuche, ihn zu bezwingen, endeten tödlich. Seitdem ist das gesamte Massiv offiziell für Besteigungen gesperrt. Nicht aus politischen, sondern aus spirituellen Gründen.
Für die erste Nacht haben wir ein Hotel gebucht, dessen Zimmer die Loge eines beeindruckenden Naturtheaters sind. Vor dem Schlafengehen erhalten wir eine SMS vom Concierge, in der steht, wann morgen früh Sonnenaufgang ist und dass es dann noch recht frisch sein wird. Der Sonnenaufgang ist also um 6:37 Uhr, ab 6 Uhr wird es unruhig im Haus. Es ist wie bei den Pandas in Chengdu: Es gibt in China so einzigartige Dinge, die so viele Menschen immer wieder in ihren Bann ziehen, dem man sich einfach nicht entziehen kann und von dem man schließlich überwältigt wird. Heute Morgen sind es nicht die Pandas, sondern der bevorstehende Sonnenaufgang über den schneebedeckten Bergen direkt gegenüber dem Hotel.
Ab 6 Uhr morgens machen sich alle bereit, checken ihre Kameras, probieren Perspektiven aus und ziehen sich lokale Trachten für das Foto an. Aus allen Richtungen kommen Reisende jeden Alters auf die Aussichtsplattform mit der Reihe weißer Stupas gelaufen. Die Mönche schlagen die schweren Glocken, verbrennen Opfergaben und der Rauch zieht über die Szenerie, während sie Gebete murmeln. Es sind viele Menschen da, aber nicht zu viele. Es ist, als würde das Gebetsmurmeln die Menge auf das kommende Schauspiel vorbereiten. Keiner schreit oder ruft, was bei so vielen Menschen in China sehr ungewöhnlich ist.
Und dann geschieht es, wie jeden Morgen hier: Die Sonne kommt ganz langsam hoch und man sieht nur, wie sie die Reihe von Bergspitzen kupferfarben anmalt. Unfassbar schön.

Es gibt keinen Aufschrei. Alle staunen nur. Jeder hier hat sich das bei der Reiseplanung schon x-mal in Videos angesehen. Und trotzdem hat jeder den Eindruck, etwas so unfassbar Schönes noch nie gesehen zu haben. Jeder weiß, wie ein Panda aussieht. Aber in Chengdu, bei der Pandastation, kommen einem die Tränen, weil sie so einzigartig süß sind. Meili ist auch so ein ganz besonderer Ort. Irgendwann ist das Schauspiel vorüber, alle Fotos sind gemacht und die Menschenmenge verläuft sich wieder. Wir frühstücken mit einem sehr besonderen Gefühl.
Vergessene Missionare
Was wird auf dieser Reise noch kommen? Mehr Serendipität wäre schön, aber das lässt sich nicht planen. Mal sehen, was heute noch passiert. Im Hotel haben wir nach Winzereien gefragt, die wir besuchen könnten. Hier oben gibt es einige mit exzellenten Weinen, teilweise in der 300-Euro-Klasse. Diese sind jedoch nicht für Besucher geöffnet. Die Hotelmanagerin meinte allerdings, dass es in einem Örtchen tief unten im Tal noch eine sehr kleine Winzerei gäbe, die wir einfach mal besuchen könnten. Auf dem Weg dorthin lassen wir das Auto waschen. Der alte Autowäscher ist leider sehr betrunken, sodass der Prozess erheblich in die Länge gezogen wird. Er freut sich jedoch sehr über die 5 Euro, die er heute verdient hat und die ihm vermutlich den Rausch der nächsten Tage sichern werden. Was soll’s, wir fahren weiter und suchen den kleinen Ort. Er ist tatsächlich so klein und eng, dass wir den Wagen besser parken, bevor er in den schmalen Gassen stecken bleibt.
Wir gehen ein paar Schritte, da ruft uns eine Frau hinterher und will uns in ihren Imbiss locken. Normalerweise mögen wir das gar nicht, wenn man uns so hinterherruft. Aber wir suchen ja die Winzerei und vielleicht weiß sie, wo wir diese finden können. Klar weiß sie das. Schließlich ist das ihre Winzerei. Wir sehen allerdings nichts. Bis sie uns in ihren Hinterhof führt. Dort steht zwischen ganz gewöhnlichen Häusern ein sehr altes Holzhaus. Die Frau führt uns in den Keller – Achtung, Kopf einziehen! – und zeigt uns ihr Privatmuseum.

Im Jahr 1862 kamen französische Missionare auch hierher. Sie bekehrten die Einheimischen, bauten eine Kirche und lehrten sie drei Dinge: das Christentum, Französisch und das Weinmachen. Da es hier oben kaum Bäume und somit wenig Holz gab, stellten sie den Wein in Steinkrügen her, wie in Georgien. Was von diesen Dingen noch übrig ist, findet sich im alten Holzhaus und im Keller. Dort sind Briefe von Pilgern der letzten Jahrzehnte, die die Kirche gesucht haben. Bilder von den Nachfahren der französischen Missionare. Und ein paar Flaschen von dem Wein, den die Frau nach alter Tradition immer noch von Hand mithilfe der Nachbarinnen jedes Jahr herstellt. Den Großteil ihrer kleinen Produktion kauft ein Restaurant in Shanghai als Spezialität, den Rest verkauft sie flaschenweise an Leute wie uns, die das Häuschen mehr oder weniger zufällig finden. Ist das nun der beste Wein der Welt, den wir jemals getrunken haben? Nicht unbedingt. Aber auf jeden Fall der speziellste.
Für die zweite Nacht hier in Meili wechseln wir das Hotel. Es ist nicht ganz so nah an dem morgendlichen Spektakel gelegen. Dafür wieder auf 5-Sterne-Niveau, mit einem Mix aus tibetischer Traditionsarchitektur und modernem Design. Am Abend gibt es exzellentes Essen, danach sehr spezielle Drinks mit lokaler Note auf der Dachterrasse.
Wir wundern uns, dass diese Form des Reisens als Roadtrip hier im Land immer wieder so gut funktioniert.
Das liegt wahrscheinlich einfach daran, dass das Land so riesig ist und so viele Täler und Winkel irgendetwas verstecken oder bewahren. Und Peking ist weit weg, so wie die Priester der Kirchen hier.
Less tourists. More truth.
Unseen China. China abseits der Großstädte im Osten. Zwischen Cyberpunk und Stupas. Unscripted. Anspruchsvoll. Spektakulär. Wer wissen will, wie sich das anfühlt: Wir fahren Euch. Individuell. Kuratiert. Von uns persönlich begleitet. Alles, was ihr dafür braucht: www.chinaserendipity.com
Ein Gastbeitrag von René Ruschmeier, China Serendipity 奇缘.